Die unsichtbare Basis für Künstliche Intelligenz (KI) im Krankenhaus: Interoperabilitätsplattformen richtig nutzen

Erst eine durchdachte Interoperabilitätsplattform schafft die Grundlage, um Künstliche Intelligenz im Klinikalltag wirkungsvoll einzusetzen. Erfahren Sie, wie Standards wie HL7 FHIR Datensilos überwinden, Prozesse verbinden und Ihr Krankenhaus fit für die digitale Zukunft machen.
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22 August 2025
TL;DR
  • Interoperabilitätsplattformen auf Basis von Standards wie HL7 FHIR sind hilfreiche Voraussetzung für wirksame KI im Krankenhaus.
  • KI-Anwendungen in Radiologie, OP-Planung und Patientenmanagement entfalten ihren maximalen Nutzen nur mit vollständigen und konsistenten Daten.
  • (Pilot-) Projekte deutscher Kliniken zeigen: Wer früh auf Interoperabilität setzt, meistert Integration, Datenschutz und Datenqualität und macht sein Haus zukunftsfähig.

Moderne Krankenhäuser arbeiten mit zahlreichen IT-Systemen, vom Krankenhausinformationssystem (KIS) über Labor- und Bildgebungssoftware bis zu Patientenportalen und Medizingeräten. Interoperabilität bezeichnet dabei die Fähigkeit, dass diese Systeme Daten nahtlos austauschen und nutzen können.

Ein zentraler Baustein ist die Interoperabilitätsplattform (IOP), die als technisches Rückgrat fungiert: Sie integriert über Kommunikationsserver (Message-Broker) und FHIR-Repositorys Daten aus den Quellsystemen und stellt sie konsistent für Klinikanwendungen bereit. Diese strukturierte Datenbasis ist die Voraussetzung dafür, dass KI-Anwendungen im Krankenhaus wirklich wirken: Beispielsweise kann KI Bilddaten in der Radiologie automatisiert auswerten, komplexe Entscheidungen unterstützen oder den Klinikbetrieb optimieren (etwa Personal-, OP- und Bettenplanung). In der Praxis zeigen Projekte wie Health Harbor Hamburg oder die interoperable Patientenplattform Bayern, wie offene Standards und Plattformen den Datenaustausch verbessern.

Dennoch stehen Kliniken vor besonderen und großen Herausforderungen: Fehlende Standards und Infrastrukturen führen zu Medienbrüchen und Dateninseln, was die Datenqualität und Verfügbarkeit beeinträchtigt. Zudem verlangen Datenschutz, IT-Sicherheit und komplexe Altsysteme besondere Lösungen. Der Beitrag erläutert deshalb eingangs die technologischen Grundlagen (HL7-Familie, FHIR, IHE) und geht auf konkrete KI-Anwendungsfälle ein, bevor er auf Integrationshürden und Erfolgskriterien eingeht. Abschließend werden Beispiele aus deutschen Kliniken vorgestellt und der Nutzen für Krankenhausleitung und IT-Abteilung herausgearbeitet. Die Quintessenz: Eine durchdachte Interoperabilitätsplattform ist die Investition wert, die KI-Lösungen erst langfristig zuverlässig macht.

Technologische Architektur: HL7, FHIR und Interoperabilitätsplattform

Eine Interoperabilitätsplattform vernetzt die heterogenen IT-Systeme eines Krankenhauses. Zentrale Elemente sind dabei Kommunikationsserver und Datenrepositorien, die gängige Gesundheitsstandards unterstützen. Historisch beruhte der Datenaustausch auf HL7 Version 2 (Textnachrichten) und CDA (Dokumente), doch diese verteilten Daten kaum über Klinikgrenzen hinweg.

Der aktuelle Standard FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) von HL7 International hat daher einen Paradigmenwechsel eingeleitet. FHIR verwendet moderne Webtechnologien und differenzierte Ressourcen (z. B. Patient, Befund, Medikament), die flexibel verknüpft werden können. Damit lassen sich datengetriebene Anwendungen einfacher entwickeln und anbinden. FHIR-Nachrichten bieten denselben Funktionsumfang wie traditionelle HL7v2-Meldungen, sind dabei aber modularer: Jede Ressource entspricht etwa einem Segment in HL7v2. FHIR-Dokumente wiederum kombinieren Ressourcen und lesbaren Text, ähnlich wie CDA-Sektionen. Durch diese Architektur kann ein Interoperabilitäts-Server etwa eingehende FHIR-Anfragen an ältere Systeme übersetzen oder aus Fremdformaten Daten ins FHIR-Format konvertieren.

Weitere Standards ergänzen FHIR: So regeln IHE-Profile (Integrating the Healthcare Enterprise) bestimmte Workflows, DICOM tauscht Bilddaten aus und Codiersysteme wie SNOMED CT oder LOINC sorgen für gemeinsame Semantik.

In einer IOP laufen all diese Fäden zusammen. Fraunhofer IESE beschreibt beispielhaft den Einsatz einer Plattform mit FHIR-Repository und Kommunikationsservern: In Echtzeit werden Daten aus KIS, Laborsystemen (LIS), Intensivmonitoren (ICMS) u. v. m. gesammelt und für klinische Anwendungen verfügbar gemacht. Dies schafft eine solide Basis, um Auswertungen und KI-Anwendungen mit vollständigen Informationen zu versorgen.

KI-Anwendungsfälle im Krankenhaus

Im Krankenhaus eröffnen sich zahlreiche Einsatzszenarien für Künstliche Intelligenz (KI). Viele davon setzen eine zuverlässige, interoperable Datenbasis voraus:

  • Radiologie und Bilddiagnostik: Bereits heute sind Hunderte KI-gestützter Medizinprodukte zugelassen, vor allem in der Radiologie. KI kann Röntgen-, MRT- oder CT-Bilder automatisiert voranalysieren, Tumore oder Frakturen erkennen und so die Befundung beschleunigen. Sie agiert als „zweites Augenpaar“ für den Radiologen und verbessert die Diagnosesicherheit.

  • Klinische Entscheidungsunterstützung: KI-Systeme werten Patientendaten (Labordaten, Vitalwerte, historische Befunde) aus und liefern individuelle Therapiehinweise. Ein Beispiel ist das Sepsis Watch-Projekt: Hier zeigt ein KI-Modell frühzeitig ein erhöhtes Sepsis-Risiko an und hilft Ärzt*innen, rechtzeitig einzugreifen.

  • Betriebs- und Ressourcenplanung: Künstliche Intelligenz optimiert die OP- und Bettenbelegung sowie den Personaleinsatz. So kann eine KI-gestützte OP-Planung viele Parameter (OP-Dauer, Patientenprofil, Schichtpläne, Gerätebelegung) simultan berücksichtigen und Belegungspläne erzeugen. Ähnlich vereinfachen intelligente Systeme die Stations- und Intensivbettenplanung, indem sie Verlegungen prognostizieren und Engpässe frühzeitig erkennen.

  • Patientenaufnahme und -management: Chatbots und Sprachassistenten verbessern die Patientenaufnahme. Ein Chatbot kann in der Aufnahme fehlende Angaben wie Vorerkrankungen oder Symptome automatisiert abfragen. Sprachassistenten ermöglichen im OP oder auf Station eine freihändige Dokumentation. Sie steuern Geräte oder protokollieren per Sprachbefehl, was Ärzten und Pflegekräften Zeit spart.

  • Dokumentation und Codierung: KI hilft beim Ausfüllen von Dokumenten, etwa indem sie Texte aus Arztbriefen und Befunden strukturiert erfasst oder automatische Kodierungsvorschläge für das Medizincontrolling liefert. So können Ärzte sich auf wichtige Inhalte konzentrieren und Fehler in der Abrechnung sinken.

  • Logistik und Betrieb: Neben der Medizin kann KI auch Logistikabläufe optimieren. Ein KI-System übernimmt z.B. das Materialmanagement auf Station (Bedarfsprognosen, automatische Nachbestellung) oder plant Transportwege im Krankenhausflur. Dadurch lässt sich Personal entlasten und Betriebsprozesse verschlanken.

In all diesen Fällen hängt der Erfolg entscheidend von vollständigen, strukturierten Daten ab. Der Klinikalltag verändert sich durch KI je nach Datenverfügbarkeit und bereits vorhandener Interoperabilität. Ist eine Interoperabilitätsplattform implementiert, haben KI-Anwendungen Zugriff auf aktuelle Patientenakten, Bilddaten und Messwerte aus allen Fachbereichen. Dadurch werden sie erst leistungsfähig und zuverlässig. Ohne diese Grundlage kommt es häufig zu „Garbage In, Garbage Out“: Unvollständige Daten führen zu falschen Prognosen, belasten Klinikpersonal zund gefährdet die Behandlungsqualität.

Herausforderungen bei der Integration

Die Kombination aus Interoperabilität und KI bringt mehrere Herausforderungen mit sich:

Technische Integration

Verschiedene Systeme sprechen oft unterschiedliche Formate. Das Zusammenführen von Alt-Systemen (z.B. HL7v2-KIS, ältere Laborsysteme) in eine FHIR-basierte Plattform erfordert Mappings und Schnittstellen. Wie Fachliteratur zeigt, sind Datenmigration und die Synchronisierung zwischen Altsystemen und FHIR-Diensten eine zentrale Hürde. Zudem müssen Kommunikationsserver zuverlässig in Echtzeit arbeiten, was aufwändige Architektur erfordert.

Datensicherheit und Datenschutz

Gesundheitsdaten sind hochsensibel. Jede Plattform muss strenge DSGVO-Standards erfüllen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Zugriffsrechten: Nur autorisiertes Personal darf Patienteninformationen sehen. Der Aufbau einer Interoperabilitätsplattform erfordert deshalb Konzepte für Verschlüsselung, Audit-Trails und Authentifizierung. Gerade in KI-Projekten benötigt man oft große Datenmengen (z.B. Bildarchive); der Umgang mit solchen Datenmengen in Forschungskontrollumgebungen ist komplex.

Datenqualität und Semantik

KI-Algorithmen sind nur so gut wie die zugrundeliegenden Daten. Unterschiedliche Systeme nutzen oft verschiedene Terminologien oder Pflegegrade. Ohne semantische Interoperabilität (z.B. einheitliche Kodierungen via SNOMED CT/LOINC) führt das zu Missverständnissen. Die Plattform muss daher nicht nur Syntax, sondern auch Bedeutung vereinheitlichen.

Systemflexibilität und Erklärbarkeit

Innovative KI-Modelle (z. B. Deep Learning) liefern oft sehr komplexe Ergebnisse. Kliniker*innen fordern aber nachvollziehbare Erklärungen. Daher müssen KI-Systeme integrierte Erklärungsmechanismen bieten. Dies erhöht die Komplexität bei Auswahl und Implementierung von KI-Lösungen. Auch die Systemlandschaft selbst sollte flexibel bleiben: Bei neuen Anwendungen oder Geräten muss man leicht weitere Datenquellen andocken können.

Organisation und Akzeptanz

Mitarbeiter müssen an neuen Prozessen teilnehmen und sich weiterbilden. In Studien zeigte sich, dass fehlende Rollenprofile und Qualifizierung das Klinikpersonal belasten. Erfolgreiche Integration braucht deshalb enge Abstimmung zwischen IT, klinischem Personal und der Führungsebene. Es gilt, Ängste abzubauen („Kann KI mich ersetzen?“) und Nutzer praxisgerecht zu schulen.

Trotz dieser Hürden zeigt die Praxis bereits jetzt: Kliniken, die frühzeitig in eine robuste Interoperabilitätsplattform investieren, können viele Probleme systematisch lösen und gewinnen Raum für Innovation. Denn nur eine solide Datenbasis ermöglicht es, KI-Anwendungen mit Mehrwert zu betreiben, anstatt sie an unstrukturierten Datensilos scheitern zu lassen.

Praxisbeispiele aus deutschen Kliniken

Verschiedene deutsche Krankenhäuser und Initiativen haben bereits konkrete Schritte zur digitalen Vernetzung unternommen:

BG Kliniken (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik)
Die BG Kliniken setzen auf einen modularen Patientenportal-Ansatz. Patienten scannen und übermitteln ihre Dokumente, Befunde oder Bilder über ein Portal. Die Plattform ordnet die Einträge einem elektronischen Fall zu und speist sie in die interne Interoperabilitätsplattform ein. Dort werden die Daten zu einer umfassenden digitalen Patientenakte gebündelt – dies war das Kernziel der Digitalisierung. Ärzt*innen profitieren davon direkt: Sie müssen nicht mehr aufwändig E‑Mails und Papierakten durchsuchen. So spart die Einrichtung viel Zeit und vermeidet Doppeluntersuchungen.

Gesundheitsplattform Rheinland-Pfalz
In Zusammenarbeit mit dem Virtuellen Krankenhaus NRW und weiteren Partnern wurde ein FHIR-basiertes Datenaustauschnetzwerk entwickelt. Dieses Projekt erschließt einen einheitlichen Austausch von Patientendaten zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten in Rheinland-Pfalz. Ziel ist eine gemeinsame E-Konsilplattform, auf der Experten über FHIR-Nachrichten Diagnosedaten teilen können – ein wichtiger Schritt hin zur föderalen Interoperabilität.

Health Harbor Hamburg (H³)
Unter der Federführung von Asklepios entsteht in Hamburg eine regionale Gesundheitsplattform. Hier sollen KI-Anwendungen und Telemedizin-Dienste vernetzt werden. Die Plattform arbeitet auf FHIR- und IHE-Basis und verknüpft die Daten der Hafenkrankenhäuser mit kooperierenden Praxen. Beispielsweise wurde ein übergreifendes Patientenportal implementiert, das auch externe Daten sicher einbindet (etwa vom Hausarzt). Diese Initiative zeigt, wie ein Ökosystem verschiedener Akteure eine gemeinsame Interoperabilität schaffen kann.

„Mein Krankenhaus Bayern“
Bayern fördert ein interoperables Patientenportal für alle Kliniken im Freistaat. Dr. Siegfried Jedamzik, Gründer des Ärztenetzwerks GOIN e.V., nennt als Beispiel eine Anwendung, die Patienten datenregionübergreifend verwaltet. In dieser Plattform ist auch die elektronische Patientenakte enthalten, die klinikintern und sektorenübergreifend sichtbar ist. In den Pilotprojekten verknüpfen Kliniken ihre KIS über einen zentralen FHIR-Hub. Ein weiteres Beispiel, wie Interoperabilität praktisch umgesetzt wird.

Virtuelles Krankenhaus NRW
Das „Virtuelle Krankenhaus“ ist ein Projekt des Landes Nordrhein-Westfalen, das Telekonsile und KI-gestützte Diagnosehilfen in ländlichen Kliniken ermöglicht. Hier fließen nicht nur Bilder, sondern auch strukturierte Daten über FHIR-Plattformen an spezialisierte Zentren und KIs. Zwar handelt es sich um ein Bundeslandprojekt, doch es demonstriert, wie Landesprojekte Interoperabilität mit KI-Innovation verknüpfen können.

Diese Beispiele zeigen: Deutschland bewegt sich weg von Insellösungen. Länder und Klinikverbunde setzen gezielt auf offene Plattformen nach FHIR-Standard, um Daten aus verschiedensten Quellen nutzbar zu machen. Damit legen sie die Grundlage für KI-Systeme – von der Bildauswertung über die Telemedizin bis hin zur intelligenten Ressourcenplanung.

Nutzen für Krankenhäuser

Eine leistungsfähige Interoperabilitätsplattform kombiniert mit dem gezielten Einsatz von KI schafft für Krankenhäuser einen doppelten Mehrwert.

Zum einen verbessert sie die medizinische Versorgung, indem Informationen schneller verfügbar sind, Doppeluntersuchungen vermieden werden und klinische Entscheidungen auf einer vollständigen Datenbasis erfolgen.Zum anderen steigert sie die betrieblichen Effizienz, weil Abläufe transparenter werden, Ressourcen gezielter eingesetzt werden können und Personal von administrativen Aufgaben entlastet wird.

Häuser, die frühzeitig in Interoperabilität investieren, legen den Grundstein für eine nachhaltige Digitalstrategie. Sie sichern sich Zugang zu innovativen Technologien, nutzen Fördermöglichkeiten besser aus und schaffen ein attraktives Arbeitsumfeld für Fachkräfte. Interoperabilität und KI sind damit keine isolierten IT-Projekte, sondern zentrale Bausteine für die Zukunftsfähigkeit eines Krankenhauses.

Weiterlesen

BG Kliniken
„Strukturierte Daten und Interoperabilität”
Daten und Interoperabilität | BG Kliniken

HL7 Deutschland e.V.
„Warum FHIR?“
Warum FHIR? – HL7 Deutschland

Fraunhofer Institutes
Fachartikel und Studien zu KI im Krankenhaus
Künstliche Intelligenz in der Krankenhauslogistik und in betrieblichen Prozessen - PMC

Heise Online:
Artikel „Datenaustausch im Gesundheitswesen…“, Bericht zu Interoperabilitätsprojekten in deutschen Bundesländern.
Datenaustausch im Gesundheitswesen: Länder arbeiten an eigenen Projekten | heise online

InterSystems (Ressourcen-Bibliothek):
FHIR-Architektur und Integration
Optimierung der Integration von Gesundheitsdaten mit FHIR | InterSystems

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