Was ist passiert?
- 06.08.2025 (Ärzte Zeitung): Bundesgesundheitsministerin Nina Warken hat einen Referentenentwurf für ein Krankenhausreform-Anpassungsgesetz vorgestellt, der den Ländern weitreichende Ausnahmebefugnisse einräumt.
- Inhalt: Die Länder sollen eigenständig über Abweichungen bei der Zuweisung von Leistungsgruppen an Kliniken entscheiden dürfen, selbst wenn Qualitätskriterien nicht erfüllt sind. Gleichzeitig werden einige Leistungsgruppen gestrichen und Vorgaben gelockert (Details siehe unten).
- Reaktionen: Kassen und Opposition kritisieren ein Aufweichen der Reform. Man befürchtet eine Verwässerung einheitlicher Qualitätsstandards zulasten der Patientensicherheit. Der GKV-Spitzenverband warnte vor gefährdeter Behandlungsqualität; Grüne und Linke sprechen von einem Rückschritt in alte Muster.
Die Details
Das Anpassungsgesetz soll die Reform „praxisgerecht“ machen. Konkret wird das System der Leistungsgruppen an das NRW-Modell angeglichen: Statt ursprünglich 65 sind nur noch 60 Leistungsgruppen vorgesehen (u. a. entfallen Infektiologie, Notfallmedizin, spezielle Kinder- und Jugendmedizin/-chirurgie) plus eine neue spezielle Traumatologie. Außerdem wird der Start der neuen Vorhaltefinanzierung um ein Jahr verschoben. Erst 2030 soll das neue Finanzierungssystem voll greifen. Die bisher für 2028 geplante vollständige Wirksamkeit wird damit um ein Jahr gestreckt, um den Ländern mehr Zeit zu geben.
Zentral ist die Flexibilisierung der Qualitätsvorgaben.
Künftig darf jedes Bundesland Ausnahmen bei der Zuteilung von Leistungsgruppen an seine Kliniken zulassen, wenn dies für die flächendeckende Versorgung zwingend nötig ist. Das heißt, ein Krankenhaus darf bestimmte Leistungen anbieten, auch wenn es die personellen/technischen Qualitätskriterien nicht erfüllt, etwa um eine ländliche Region zu versorgen. Bisher festgelegte Erreichbarkeitsgrenzen (z. B. maximal x Autominuten zum nächsten Krankenhaus) entfallen komplett. Zeitlich sind diese Ausnahmen begrenzt: Bis zu drei Jahre können Länder selbst genehmigen, plus drei weitere Jahre mit Zustimmung der Krankenkassen. Im Klartext: Ein Krankenhaus könnte bis zu 2028 von Qualitätsstandards ausgenommen werden, falls nötig. Gleichzeitig wird erwartet, dass Kliniken nach Kooperationslösungen suchen, bevor sie Ausnahmen in Anspruch nehmen. Die Landesverbände der Krankenkassen sollen prüfen, ob durch Kooperationen oder Verbünde die Qualitätskriterien doch erfüllt werden können.
Weitere Anpassungen betreffen die Umsetzung und Rechtssicherheit.
Die Genehmigung von Krankenhaus-Zusammenschlüssen liegt nun eindeutig bei den Ländern (kein Bund-Länder-Pingpong mehr). Das Wettbewerbsrecht (Kartellamt) bleibt ausgesetzt, damit Länder bei der Leistungsvergabe frei gestalten können. Zudem werden diverse Fristen verlängert: Länder haben rund ein Jahr mehr Zeit, ihre Anträöge für Leistungsgruppen beim InEK einzureichen, weil auch die budgetneutrale Übergangsphase um ein Jahr nach hinten rückt. Entsprechend soll der Medizinische Dienst (MD) Qualitätsprüfungen später aufnehmen und ein erster Evaluationsbericht zur Reform wird nun schon Juli 2027 (statt Ende 2028) erwartet, um frühzeitig nachsteuern zu können. Summa summarum: Mehr Flexibilität und Zeit, aber auch ein Abschied von einigen bundesweit einheitlichen Vorgaben.
Warum das wichtig ist (v. a. für Klinikentscheider)
- Strategie neu ausrichten:
Durch den Gestaltungsspielraum der Länder entstehen je nach Bundesland unterschiedliche Kliniklandschaften. Das eigentlich geplante bundeseinheitliche Niveau weicht auf. Kliniken müssen ihre Strategie an landesspezifische Vorgaben anpassen. Wer Häuser in mehreren Bundesländern betreibt, steht vor erhöhter Komplexität. Es gilt, Leistungsprofile und Spezialisierungen eng mit der jeweiligen Landesplanung abzustimmen, um nicht ins Abseits zu geraten.
- Finanzen im Blick behalten:
Die verzögerte Vorhaltefinanzierung bedeutet, dass Kliniken mindestens ein Jahr länger mit den alten DRG-Fallpauschalen leben müssen. Wer jetzt keine ausreichenden Fallzahlen generiert, riskiert später finanzielle Nachteile, da historische Leistungsdaten weiterhin die Budgetgrundlage bilden. Positiv: Durch den Wegfall mancher Auflagen (z. B. gestrichene Personal-Untergrenzen) sinkt kurzfristig der Kostendruck. Aber Vorsicht: Qualitätseinbußen können langfristig teuer werden (z.B. Haftungsrisiken, Imageverlust). Außerdem stellt der Bund nun 50 % der Transformationsmittel bereit, was finanziellen Spielraum für Umstrukturierungen schafft. Diesen gilt es zu nutzen, bevor der Wettbewerb es tut.
- Risiken und Chancen abwägen:
Wird die neue Flexibilität falsch genutzt (Stichwort “Aufweichungsgesetz”), drohen Qualitätsverluste und Unzufriedenheit bei Patienten, Kostenträgern und Personal. Ohne Gegensteuern könnte die Reform zur Reformbremse werden. Man verharrt im status quo und gefährdet die Patientensicherheit. Chancen liegen darin, jetzt proaktiv zu handeln: Kliniken, die freiwillig hohe Standards halten und in Kooperationen investieren, können die Ausnahmen als Brücke nutzen, um stabile Versorgungsnetzwerke zu knüpfen. Wer z.B. Telemedizin oder gemeinsame Dienste mit Partnern aufbaut, erfüllt Qualitätsvorgaben ggf. auch ohne starre Zentralvorgaben und positioniert sich als verlässlicher Versorger. Gleichzeitig lässt sich die verlängerte Übergangszeit nutzen, um mit Fördermitteln des Krankenhaus-Transformationsfonds (KHTF) notwendige Umbauten und Digitalisierungsprojekte anzustoßen, bevor 2030 das neue System greift.
Was Krankenhäuser jetzt tun sollten
- Leistungsgruppen-Check durchführen.
Um Klarheit zu erlangen, bei welchen Leistungen eure Klinik die neuen Qualitätskriterien (Personal, Ausstattung, Mindestmengen) nicht erfüllt. Analyse: Mappt euer aktuelles Leistungsspektrum auf die 60 Leistungsgruppen und identifiziert „Risikobereiche“. So wisst ihr, wo ihr ohne Nachbesserung auf Ausnahmeregeln angewiesen wärt.
- Kooperationsstrategie vorantreiben.
Für einen umsetzbaren Plan, um Qualitätslücken ohne Ausnahmegenehmigungen zu schließen. Aktion: Sucht das Gespräch mit benachbarten Kliniken und Praxen. Wo ihr alleine die Vorgaben nicht stemmen könnt, könnten Verbundlösungen helfen (z. B. gemeinsame Nutzung von Fachärzten, Telemedizin, Zentral-Labor). Nehmt frühzeitig Kontakt zur Landesbehörde auf, um zu klären, unter welchen Bedingungen Ausnahmen möglich sind und zeigt proaktiv Alternativen auf. So signalisiert ihr: Wir wollen die Versorgung sichern, ohne die Qualität zu opfern.
- Finanz- und Förderplan anpassen.
Zur Sicherung der finanziellen Stabilität und der Fördermittel. Schritt 1: Passt eure Finanzplanung an die verlängerte DRG-Phase an. Plant für 2025–2030 weiterhin mit Fallzahlsteigerungen in strategischen Bereichen, um keine Einnahmen zu verlieren. Schritt 2: Nutzt die Zeit, um Investitionen vorzubereiten: Der Krankenhaus-Transformationsfonds (KHTF) fördert Umstrukturierungen (bis zu 50% Bundesanteil). Prüft sehr zeitnah, welche Projekte (Zusammenschlüsse, Umbau, Digitalisierung) förderfähig sind und bereitet Antragsunterlagen vor. Schritt 3: Richtet ein striktes Projekt- und Kostencontrolling ein, um die Übergangsphase finanziell zu überbrücken und die geförderten Projekte fristgerecht umzusetzen.
